«Neben Wirtschaftsfreundlichkeit und Eigenverantwortung sind auch ökologische Nachhaltigkeit und sozialer Ausgleich wichtig.»
Foto: Kostas Maros
Anbei findet Ihr das interview der BAZ mit mir vom 9.11. -> Direkt Link
Als Sabine Bucher gegen halb zehn auf der BaZ-Redaktion am Aeschenplatz eintrifft, fröstelt sie. Die grünliberale Regierungskandidatin kommt direkt vom Bahnhof Muttenz, wo sie rund zwei Stunden gestanden und seit frühmorgens Flyer verteilt hat. Das mache zwar viel Spass, sagt sie, «aber mittlerweile ist es gerade am Morgen halt schon sehr kalt».
Frau Bucher, im Wahlkampf stehen Sie stundenlang draussen in der Kälte. Lohnt sich das wirklich?
Vor dem ersten Wahlgang war ich in Blauen am Dorfmarkt. Ich habe nicht einmal etwas verteilt, nur mit den Menschen gesprochen und einzelne kennen gelernt. Am Schluss habe ich in dieser Gemeinde von allen Kandidierenden die meisten Stimmen erhalten. Das zeigt doch, dass sich diese Aktionen durchaus auszahlen.
Den Kampf um die Baselbieter Regierung haben Sie also noch nicht aufgegeben?
Nein, sicher nicht. (lacht) Warum fragen Sie?
Weil Markus Eigenmann (FDP) auf den ersten Blick als klarer Favorit in den zweiten Wahlgang geht. Er wird jetzt auch noch von der SVP unterstützt.
Das muss gar nichts heissen. Ich setze auf Personen, die im ersten Wahlgang noch nicht an der Urne waren.
Sie wollen noch bewusster auf Präsenz setzen. Warum?
Wir haben schlicht nicht das Budget, um uns nur auf bezahlte Werbung zu fokussieren oder die Leute per Post zu informieren. Ausserdem möchten wir den Kanton nicht mit noch mehr Plakaten vollpflastern. Da ist die FDP klar eine Übermacht. Was wir machen, sind Flyeraktionen, über die wir in den sozialen Medien berichten. Das ist günstiger und näher an der Bevölkerung.
Ihr Wahlkampf beruht also darauf, dass die Leute Sie für eine nette Person halten und Sie mindestens schon einmal getroffen haben oder zumindest jemanden kennen, der das getan hat.
Das ist überspitzt formuliert. Aber ja: Ich habe durchaus festgestellt, dass man mir dort das Vertrauen schenkt, wo man mich kennt.
Ihre Gegner sagen, Sie vertreten keine klaren Positionen.
Im Landrat vertrete ich die Inhalte, für die ich gewählt worden bin. In der Exekutive sehe ich es hingegen nicht als meine Aufgabe. Im politischen Prozess will ich zuhören, um gegenseitiges Verständnis zu schaffen, alle Perspektiven einbeziehen und so am Schluss den besten Kompromiss finden.
Man sagt: Wer nicht führt, wird geführt.
Das stimmt. Und selbstverständlich werde ich meine Direktion mit einer klaren Haltung führen. Aber will man als Regierungsrat im Kanton Baselland inhaltlich etwas Grosses verändern, ist man auf den Input des Parlaments angewiesen. Anders funktioniert es nicht. Wer meine bisherigen Positionen sehen will, kann zudem im Internet nachschauen, wie ich im Landrat in den vergangenen zwei Jahren abgestimmt habe. Das ist alles öffentlich. Ich habe nichts zu verbergen.
Aber wer Wahlen gewinnen will, muss sich auch im Wahlkampf klar positionieren. Zu den 16 Initiativen der Wirtschaftskammer Baselland haben Sie beispielsweise bewusst keine Stellung bezogen. Warum?
Nur weil ich mich dazu nicht äussere, heisst es ja nicht, dass ich mich nicht positioniere. Einerseits hatte ich neben Job und Wahlkampf nicht die nötige Zeit, mich mit der nötigen Tiefe und Verantwortung mit den 16 Initiativen zu befassen. Und andererseits habe ich Vorbehalte, ob es mit Blick auf das Kollegialitätsprinzip überhaupt angezeigt ist, als Regierungsratskandidatin zu bereits eingereichten Initiativen Stellung zu nehmen.
«Ich will Markus Eigenmann nicht fertigmachen», sagt Sabine Bucher / Foto: Kostas Maros
Vor dem ersten Wahlgang wurde viel über die Bildung gesprochen. Wir wollen uns heute auch auf andere Themen fokussieren – dennoch die Frage: Sie betonten immer wieder, dass man sich in den Schulen mehr auf die Stärken statt auf die Schwächen konzentrieren sollte. Was heisst das?
Ich finde es wichtig, dass die Lehrpersonen so unterrichten können, wie es ihnen liegt – und nicht alle das gleiche Schema verfolgen. Zudem sollte mehr Wert auf die Begabungen der einzelnen Kinder gelegt werden. Wir brauchen im Hinblick auf den digitalen Wandel und technologischen Fortschritt nicht mehr nur Generalisten, sondern vor allem auch Spezialisten.
Also Schluss mit Inklusion im Klassenzimmer?
Im Gegenteil. Mir ist es wichtig, dass die Kinder grundsätzlich in der Regelklasse bleiben können. In einzelnen Fächern sollten sie jedoch nicht mehr so unter Druck gesetzt werden. Stattdessen sollen ihre Stärken im Vordergrund stehen.
Dann wird vor allem bei den Schwachen auf die Stärken geachtet – was ist mit den Starken?
Selbstverständlich geht es um alle. Bei den Starken ist es umso klarer. Kinder sollen das tun dürfen, was ihnen liegt und sie motiviert. Ein Beispiel: Meine beiden Kinder haben den P-Zug gemacht, sich danach aber nicht fürs Gymnasium entschieden, sondern für eine Lehre. Warum? Weil ihnen das am meisten Spass macht. Wenn Kinder und Jugendliche mit ihren Interessen arbeiten können, brauchen sie im Übrigen auch weniger Begleitung.
«Generell glaube ich, dass die Bilateralen III für das Baselbiet gut sind.»
Bei Markus Eigenmann und der FDP geben aktuell die EU-Verträge zu reden. Was sagen Sie zum neuen Rahmenabkommen?
Generell glaube ich, dass die Bilateralen III für das Baselbiet gut sind. Sie sind wichtig für den Forschungs- und Innovationsstandort und damit Unternehmen weiterhin die Fachkräfte aus dem Ausland holen können, die sie benötigen. Wir können nicht mit tiefen Steuern trumpfen.
Warum denn? Der Kanton hat ein gutes Rating und einen kräftigen Überschuss. Wieso kann der Kanton die Steuern nicht senken?
Wenn wir die Steuern senken, müssen wir staatliche Leistungen abbauen. Die Steuern so weit zu senken, dass wir auf Zuzüger hoffen könnten, die den Ausfall kompensieren, liegt für uns nicht drin. Da können wir schlicht nicht mit den Tiefsteuerkantonen mithalten. Unser Kanton kann dafür im Bereich Forschung und Innovation punkten.
Wir stellen die Frage umgekehrt: Haben Baselbieter Wähler eine Aussicht auf tiefere Steuern, wenn Sabine Bucher in der Regierung ist?
Ist es das Ziel der Wählenden, weniger Steuern zu bezahlen?
Steuern, Krankenkassen, Gebühren oder andere Abgaben, wir alle wollen doch weniger bezahlen.
Ich sehe Entlastungspotenzial bei der SVP-Initiative zum Steuerabzug der Krankenkassenprämien. Das ist grundsätzlich eine nachvollziehbare Idee. Nur ist sie nicht zu Ende gedacht. Erstens führt sie zu viel zu hohen Steuerausfällen. Zweitens setzt sie einen Fehlanreiz für höhere Gesundheitskosten. Und drittens wird sie zu einer viel höheren Belastung für die Verwaltung führen, weil neben den selbst getragenen Kosten weitere Versicherungsabzüge geprüft werden müssen. Mein Ansatz wäre hingegen, den bisherigen Pauschalabzug zu erhöhen. Zur Gegenfinanzierung würde ich gleichzeitig eine Mindestgrenze beim Krankheitskostenabzug einführen, wie sie alle anderen Kantone kennen.
Wenn Sie uns schon keine Steuersenkung in Aussicht stellen: Sehen Sie denn wenigstens ein bisschen Sparpotenzial beim Kanton?
Wenn wir es schaffen, die Aufgaben effizienter zu erledigen, und der Verwaltung nicht unnötige Arbeit aufbrummen: gerne. Aber wir müssen aufpassen: Die Mitarbeitenden des Kantons haben bereits viele Sparrunden hinter sich. Irgendwann vergrault man das Personal.
Ein wärmender Kaffee: Sabine Bucher auf der BaZ-Redaktion am Aeschenplatz. / Foto: Kostas Maros
Sie werden von links unterstützt, betonen aber gerne, dass sie inhaltlich unabhängig sind. Was ärgert Sie denn bei der SP?
(lacht) Bei der SP ärgert mich nichts. Das sind Politikerinnen und Politiker wie alle anderen auch. Die Grundanliegen der Partei kann ich gut nachvollziehen, und sie liegen mir auch am Herzen, nur die geforderte Umsetzung entspricht nicht immer meinem Weg.
Ein Steckenpferd der SP ist eine Gratis-Kita für alle Eltern. Sie haben sich gegen die Verstaatlichung ausgesprochen.
Arbeit soll sich lohnen, und Eltern sollen eine echte Wahlfreiheit haben. Gratis-Kitas sind aber ein Ausschütten mit der Giesskanne. Es gibt viele Leute, die sich die Kitas gut leisten können. Warum sollten wir diesen die Kita gratis zur Verfügung stellen? Auch die Wirtschaft kann einen Beitrag leisten. Ich will, dass die Mittel des Staates gezielt bei denen ankommen, die sie wirklich benötigen.
Bisher ist der Wahlkampf nicht gerade von inhaltlichen Attacken geprägt. Können Sie überhaupt angriffig oder bissig sein?
Ich könnte das schon. Aber es entspricht mir nicht. Ich will Markus Eigenmann nicht fertigmachen. Fakt ist: Ich bin bereit, mich langfristig in der Bildungsdirektion zu engagieren. Bei den grossen anstehenden Themen ist Kontinuität in meinen Augen wichtig. Bei ihm habe ich dieses Commitment bisher nicht gehört. Ausserdem bringe ich alle Kompetenzen und Erfahrungen mit, die es braucht. Und ich bin eine Frau aus dem Oberbaselbiet und damit die perfekte Ergänzung zum bestehenden Regierungsrat.
Markus Eigenmann kann nun wirklich nichts dafür, dass er keine Frau ist.
Natürlich nicht. Aber dafür, dass er zum falschen Zeitpunkt kandidiert. Mein Profil ist perfekt für genau dieses Amt. Ich staune selbst. (lacht)
Für Sie mag das stimmen. Aber stimmt es auch für die GLP? Die Partei hat einen Wähleranteil von knapp acht Prozent.
Regierungsratswahlen sind Personenwahlen. Die Partei sollte keine grosse Rolle spielen. Es ist wichtiger, Leute in der Exekutive zu haben, die unabhängig sind und die miteinander gute Lösungen erarbeiten können. Inhaltlich bin ich nicht weit entfernt von der FDP. Mir sind einfach neben der Wirtschaftsfreundlichkeit und Eigenverantwortung auch die ökologische Nachhaltigkeit und der soziale Ausgleich sehr wichtig.